Justizrath von Paepke | Vereinigung der Kapitäne und Schiffsführer des Fischlandes

Seeunfall der Bark „Justizrath von Paepke"



  1. daß der am 8. November 1883 in der Tyne erfolgte Zusammenstoß der Bark „Justizrath von Paepke“ mit dem britischen Dampfer „Vioo“ dadurch verursacht ist, daß der letztere, anstatt die Bark an deren Steuerbordseite zu passiren, versuchte vor deren Bug vorüber zu gehen;


  2. daß die Besatzung der Bark keine Schuld an dem Zusammenstoß trifft.


  3. Gründe.

    1. In heutiger Hauptverhandlung ist Nachstehendes thatsächlich festgestellt:


      1. Am 28. October 1883 verließ die in Wismar beheimathete, 1857/58 in Rostock aus Eichenholz erbaute und zu 324,69 britischen Register-Tons = 919,5 cbm Netto-Raumgehalt vermessene Bark „Juſtizrath von Paepke“, Unterscheidungssignal MSFH, unter Führung des Schiffers H. E. Niejahr, Bordeaux, um in Ballast nach Newcastle zu gehen. Nach einer glücklichen Reise traf dieselbe am 8. November Morgens vor der Tyne Mündung ein und nahm sofort einen Lootsen und einen Dampfer an, welcher sie in die Tyne einschleppen sollte. Der Wind war westlich, fast still, das Wetter schön und die Luft wenigstens insoweit klar, daß man sich, als man Morgens 8 Uhr die Piers passirt hatte, von anderen Schiffen frei sehen konnte.

        Die Bark ging langsam an der Nordseite des Flusses hinauf und als sie die Low-Lights passirt hatte, quer über den Strom hinüber, um an dessen Südufer festzulegen, weil Schiffer Niejahr glaubte, daß man dort bei östlichen Winden sicherer liegen werde. Die Bark war bereits dem südlichen Ufer bis auf ungefähr 150 Fuß nahe und fast in einer Richtung mit den zum Festlegen der Schiffe bestimmten Bojen, welche dort das eigentliche Fahrwasser begrenzen, nur noch etwa eine Schiffslänge von der Half Penny Ferry-Station entfernt und unmittelbar an dem Wrack des unlängst dort gesunkenen Dampfers „Rosedale“, und steuerte parallel mit dem Ufer den Strom hinauf, als plötzlich voraus der in Newcastle beheimathete Dampfer „Vioo“ 2 bis 3 Strich an Steuerbordseite in Sicht kam.

        Derselbe war damals noch ungefähr 500 Fuß von der Bark entfernt, ging den Strom mit etwa 4 Seemeilen fahrt hinunter und hielt mit Backbordruder gerade auf die letztere los. Der auf der Bark befindliche Lootse befahl, daß das Ruder nach Steuerbord übergelegt werde, was auch sofort geschah. Gleichzeitig warf der Bugsirdampfer das Schlepptau los, und die Bark, welche nur noch ganz geringe Fahrt hatte, schoor auch ein wenig nach Backbord aus, als sie, nachdem kaum eine Minute seit dem ersten Sichten des „Vioo“ verflossen war, von diesem am Steuerbordbug hinter dem Krahnbalken getroffen und fast bis auf die Wasserlinie durchschnitten wurde. Der „Vioo“, welcher bis zum Spill in die Bark hineingelaufen war, machte sich nach kurzer Zeit wieder von der letzteren frei und setzte, da er selbst unbeschädigt geblieben, seine Reise fort, ohne sich weiter um die Bark zu bekümmern, während diese von dem Bugsirdampfer bis zu den Bojen geschleppt und dort festgelegt wurde.


      2. Die Bark ist in Shields reparirt worden, und haben sich die Reparaturkosten auf 381 £ Sterling belaufen. Die Rhedereien beider betheiligten Schiffe haben die Frage, wer den durch den Zusammenstoß verursachten Schaden zu tragen beziehungsweise zu ersetzen habe, durch Schiedsspruch zum Austrag gebracht. Der von ihnen zum Schiedsrichter ernannte Vorsteher des Trinity-Hauses, Herr J. H. Watton in Newcastle, hat dahin entschieden,


        • daß beide Schiffe den Zusammenstoß verschuldet haben und demgemäß

        • jedes derselben den ihm zugefügten Schaden allein, die Kosten des Schiedsverfahrens aber zur Hälfte tragen soll. Entscheidungsgründe sind diesem Schiedsspruch nicht beigegeben.


      3. für die Ein- und Aussegelung auf dem Tyne-Fluß bestehen die folgenden, unter dem 12. December 1867 von der Commission zur Regulirung des Tyne-Flusses erlassenen gesetzlichen Bestimmungen:


        • Alle nach See zu fahrenden Schiffe sollen sich südlich und alle von See einkommenden sollen sich nördlich vom mittleren Fahrwasser halten, so daß auf allen Schiffen Backbordruder gegeben werden kann.

        • Dies gilt insbesondere auch von allen durch Dampfer bugsirten Schiffen.

        • Alle in Fahrt begriffenen Schiffe, bei denen die Nothwendigkeit eintritt, einen Theil des Fahrwassers zu passiren, welcher nicht in der für ihre Schiffahrt reservirten Hälfte liegt, um nach einer Ladestelle oder einem Ankerplatze zu gehen, sowie Schiffe, welche quer über den Fluß gehen, müssen die Verantwortlichkeit für diese ihre Handlung bezüglich der Sicherheit des Schiffsverkehrs auf dem Flusse auf sich nehmen.


    2. Der Beurtheilung des Falles waren nach Ansicht des Seeamts nicht die in ratio I sub 3 allegirten Bestimmungen der Commission zur Regulirung des Tyne-Flusses, welche offenbar im wesentlichen die Schadenersatzfrage regeln wollen, sondern vielmehr die auf internationaler Geltung beruhenden Vorschriften der Kaiserlichen Verordnung zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880 grundleglich zu machen. Nach Artikel 1 dieser Verordnung ist zunächst die von einem Dampfer bugsirte Bark als Dampfschiff im Sinne derselben zu betrachten. Demnach kommen die Artikel 16, 18 und 21 ebendaselbst auf den vorliegenden Collisionsfall zur Anwendung.

      Nach Artikel 21 muß in engen Fahrwassern jedes Dampfschiff, wenn es ohne Gefahr ausführbar ist, sich an derjenigen Seite der Fahrrinne oder Fahrwassermitte halten, welche an seiner Steuerbordseite liegt. Der „Vioo“ handelte also an sich ganz correct, wenn er in die südliche Hälfte des Flusses einsteuerte, in welche die Bark eben falls bereits hinübergegangen war. Daß diese damit nicht gegen den Artikel 21 verstieß, bedarf, da sie am südlichen Ufer festlegen wollte keines weiteren Nachweises.

      Artikel 18 fordert, daß jedes Dampfschiff, welches sich einem anderen Schiffe in solcher Weise nähert, daß dadurch Gefahr des Zusammenstoßens entsteht, seine Fahrt mindert oder, wenn nöthig, stoppt und rückwärts geht. Ob der „Vioo“ diese Vorschrift befolgt hat, war nicht festzustellen. Der die Bark bugsirende Dampfer aber ist ihr insoweit gerecht geworden, als er sofort nach den Sichten des „Vioo“ das Bugsirtau loswarf, während ihm ein Stoppen und Rückwärtsgehen unmöglich war, da das nothwendig zu einem Zusammenstoß zwischen ihm und der Bark geführt haben würde.

      Artikel 16 endlich schreibt vor, daß wenn die Curse zweier Dampfschiffe sich so kreuzen, daß Gefahr des Zusammenstoßens entsteht, dasjenige Dampfschiff aus dem Wege gehen muß, welches das andere an seiner Steuerbordseite hat. Hier hatten nun beide in Rede stehenden Schiffe, als sie sich zuerst zu Gesicht bekamen, einander an Steuerbordseite; beide waren somit zum Ausweichen verpflichtet, soweit sie dazu im Stande waren. Mit Backbordruder war das unmöglich, weil die Bark bereits auf der äußersten südlichen Grenze des Fahrwassers stand und, zumal nach dem Loswerfen des Bugsirtaues, nur noch eine ganz geringe fahrt hatte.
      Bei Backbordruder mußte es daher nothwendig zur Collision kommen, und zwar mußten dann beide Schiffe Bug gegen Bug einander treffen. Es war somit durchaus der Sachlage entsprechend, wenn die Bark ihr Ruder nach Steuerbord legte, um sich dem südlichen Ufer noch mehr zu nähern und so dem „Vioo“ das Passiren an ihrer Steuerbordfeite zu erleichtern. Der letztere konnte, da ihn Anfangs noch etwa 1000 Fuß von der Bark trennten, die Situation unschwer übersehen, und da die Tyne dort, wo der Zusammenstoß erfolgte, mindestens 1000 Fuß breit ist, so war ihm ein hinlänglicher Wasserraum geboten, um innerhalb der südlichen Hälfte des Fahrwassers gerade vorausfahrend die Bark an deren Steuerbordseite passiren zu können.
      Wenn er anstatt dessen mit Backbordruder versuchte vor deren Bug vorüber zu gehen, um sie dann an ihrer Backbordseite zu passiren, was schon deshalb nicht gelingen konnte, weil hinter der Bark noch weiter dem Lande zu das Wrack des geſunkenen Dampfers „Rosedale“ lag, so muß ihm die alleinige Schuld an dem Unfall beigemessen werden, während solche dem Führer der Bark um so weniger zur Last gelegt werden kann, als er seinerseits einen Revierlootsen an Bord hatte und nach dessen Anordnungen handelte.


zurück zur Auswahl